Hilfe!
In starke Arme kuscheln. Geborgenheit fühlen. Sicherheit erleben. Kraft
schöpfen. Das suchen und bekommen Kinder im besten Falle bei ihrer Mutter
und ihrem Vater. Für viele kleine Kinder ist deshalb klar: Ihr Papa ist superstark,
vielleicht ja sogar der stärkste Mann der Welt. Schließlich ist er riesengroß, er
schwingt sie auf seine Schultern, wirbelt sie herum und hebt Dinge hoch, die
man selber nicht vom Fleck bekommt. Logisch, dass man zu ihm hinlaufen
möchte, wenn man nicht an etwas rankommt, wenn etwas zu schwierig ist oder
einem sogar Angst macht. Kinder suchen nicht etwa nur Hilfe, sie erleben direkt
und unmittelbar, dass das Vertrauen, das sie in so einer Situation in ihren Vater
setzen, tatsächlich erfüllt wird. Papa kann helfen, daran besteht überhaupt kein
Zweifel. Diese Erfahrung prägt sich tief ein, und wenn alles gut läuft, wird sie
zum Grundstock für das Selbstvertrauen, die kommenden Herausforderungen
des Lebens schließlich selber zu bewältigen.
Was die Zukunft bringt, bereitet vielen Eltern gerade zunehmend Sorgen. Die
Krisen scheinen sich aktuell geradezu zu vermehren. Man spricht mittlerweile
nicht selten schon von einer „multiplen Krise“. Die Pandemie hat
Verunsicherungen hinterlassen, Kriege drohen und rücken näher heran,
nachdem der Frieden schon so vertraut geworden war wie nie zuvor, das Klima
wird sich dramatisch verändern und zwingt dringend zu Verhaltensänderungen,
Menschen werden in die Flucht getrieben, die Beschaffung von Energie steht
vor Problemen, die Gesellschaft altert, die Demokratie sieht sich Angriffen
gegenüber … Um die Kinder machen sich Eltern immer Gedanken, aber
konfrontiert mit diesen Aussichten fragen sich viele: Wie kann man da noch
zuversichtlich Kinder großziehen? Womit werden sie zu kämpfen haben? Und
was ist nun zu tun, um vorausschauende Vorkehrungen zu treffen? Ein klammes
Gefühl von Verunsicherung greift manchmal um sich. Die nicht mehr ganz so
kleinen Töchter und Söhne sehen und spüren ja auch schon selbst, dass viele
Erwachsene beunruhigt sind. Wie ist ihnen zu helfen?
Jeder Vater wird da helfen wollen. Wie kann das geschehen? Verlässt er sich
auf dann also auf seine eigene Stärke? Unabhängig vom Verhalten und den
Absichten der eigenen Eltern: die gewöhnliche Sozialisation von Jungen in
unserer Gesellschaft gibt ihnen mit, dass Männer ihr Ding alleine machen. Dass
sie ihre Probleme selbstverständlich aus eigener Kraft lösen. Oder sie
zumindest verdrängen. Ihnen wird nicht gerade nahegelegt, sich Hilfe zu holen.
Sicher, niemand lässt es ohne weiteres und gerne zu, sich wirklich ratlos und
hilflos zu fühlen, aber männlich sozialisierte Menschen versuchen es
wahrscheinlich noch einmal besonders nachdrücklich zu vermeiden. Wenn ein
Kind den Wunsch signalisiert: „Papa, hilf mir …“, wird es einem Vater nur schwer
über die Lippen kommen, zu sagen: „Ich weiß jetzt auch nicht weiter!“
Der eigenen Tochter oder dem Sohn so zu antworten, scheint auch nicht fair.
Sie haben den berechtigten Anspruch, sich auf ihren Vater zu verlassen. Und
dieses Zutrauen schenkt einem ja auch schon den ersten Schub an der nun
erforderlichen Kraft. Vielleicht kann man aber doch antworten: „Das Problem ist
schwierig. Wir müssen eine Lösung finden.“ Wenn ein Mann es richtig findet,
dass ein Kind für sein weiteres Leben lernt, dass es sich Hilfe holen kann, dann
könnte das ein Anstoß sein, sich darauf zu besinnen, dass er das ja auch einmal
so gelernt hat. Es scheint nahezuliegen, sich dann selber an eine höhere
(Eltern-) Instanz zu wenden. Der Blick in die Geschichte zeigt, dass dann die
Sehnsucht nach dem „starken Mann“ im Staat geweckt wird. Oder nach einer
Ideologie, die alles möglichst einfach erklärt, ordnet und regelt. Die Geschichte
– und die Gegenwart – zeigt aber auch, wie gefährlich das ist und wie schlimm
das ausgehen kann.
Als Erwachsener sucht man sich Hilfe bei Erwachsenen. Ein Vater hat eine
Partnerin oder einen Partner zur Seite. Hoffentlich gibt es Freundinnen und
Freunde. Vor allem auch andere Väter, die die eigenen Sorgen teilen und die
mit einem selbst den Mut aufbringen, einmal ratlos sein zu können, um einen
genauen Blick auf die Lage zu werfen. Auch das ist gar nicht so einfach. Es ist
wahrscheinlich wenig vertraut und gewohnt. Zwischen Eltern und gerade auch
zwischen Vätern gibt es ein nicht geringes Maß an Konkurrenz. Keiner möchte
bei einem Fehler ertappt werden, jeder möchte es besser machen als der
andere. (Und das ist kein böser Wille, sondern ein tiefe sitzende Haltung von
männlicher Souveränität.) Es ist also notwendig, untereinander Solidarität zu
entwickeln und zu pflegen. Bei der Frage, was gut ist für die Zukunft der Kinder,
sitzen alle im selben Boot. Jemanden, der sich auf Augenhöhe befindet und
nicht über einem stehend empfunden wird, um Rat zu fragen, d. h. sich zu
beraten, lässt einen nicht schwach erscheinen. Und wer sich in einem Kreis von
zugewandten Weggefährten erlebt, gewinnt an Stärke, und kann selber helfen.
Womöglich ist neben Verbundenheit und Gemeinschaft noch eine weitere
Quelle der Zuversicht hilfreich. In früheren Zeiten war es einfacher, sich
gegenseitig zu einem „Gottvertrauen“ zu ermutigen. Damit ist keine naive
Übertragung von Verantwortung an einen „Stärkeren“ gemeint, an einen, der
„es schon richten wird“. Es geht darum, vorsichtig, behutsam den Gedanken
und das Gefühl im eigenen Leben wirksam werden zu lassen, dass alles gut
werden soll. So als ob ein guter Wille über einem herrscht. Das Kind, dass
seinem Vater ganz selbstverständlich mit einem „Papa, hilf mir …“ begegnet, für
diese Haltung ist ein Beispiel.